Wie in jedem Jahr lud der Islamische Weg e. V. auch diesmal wieder zur Islamischen Tagung deutschsprachiger Muslime in Hamburg ein. Vom 28.04. bis zum 30.04. durften die Teilnehmer in den Räumlichkeiten der Imam Ali Moschee die vielfältigen Angebote nutzen und an den segensreichen Sitzungen der Tagung teilnehmen.
Das offizielle Programm begann am Freitag in den Abendstunden. Ich reiste mit einigen Geschwistern bereits am Vormittag an. Wenn wir schon an einem Freitag in die Imam Ali Moschee fahren, so dachten wir, dann wollen wir den Segen des Freitagsgebets mitnehmen. Wie oft hat man schon die Möglichkeit, das Freitagsgebet in einer schiitischen Moschee beten zu dürfen? Wie viele schiitische Gemeinden in Deutschland bieten den Gläubigen überhaupt ein Freitagsgebet an? Sicherlich die allerwenigsten. Dabei ist der Lohn und Segen, wie es uns die Überlieferungen mitteilen, von immenser Größe. Von Oldenburg nach Hamburg hatten wir bei gemäßigtem Tempo gut zwei Stunden Fahrt. Wie stark müssen uns doch die Schweizer und Österreicher beneiden, die eine achtstündige Reise in Kauf nehmen mussten, um einmal an diesem Ereignis teilzunehmen! Von anderen Geschwistern erfuhr ich, dass sie im letzten Jahr sogar mit dem Flieger angereist waren.
Während ich auf dem Gebetsteppich Platz nahm, hoffte ich insgeheim, inmitten der anderen Gäste und Teilnehmer, das Freitagsgebet hinter dem Leiter der Moschee, Ayatollah Ramezani, beten zu können. Lange hatte ich nicht mehr in das schöne und lichterfüllte Gesicht des großen Gelehrten blicken dürfen und so wartete ich Richtung Ausgang blickend ungeduldig darauf zu erfahren, wer von den großen Lehrern das Freitagsgebet übernehmen wird. Es kam, wie es kommen musste: Ayatollah Ramezani kam zu meiner Begeisterung in den Raum, hielt die Predigt und leitete das Freitagsgebet.
Wie schon im letzten Jahr durfte ich den Organisatoren vom Islamischen Weg e. V. bei der parallel zum Hauptprogramm laufenden Kinder- und Jugendbetreuung unterstützen. Die vielen Events konnte ich deshalb nicht alle mitverfolgen, zu sehr war ich mit dem Beaufsichtigen der Kinder beschäftigt. Zwischendurch lauschte ich den Referenten in den Workshops und durfte erleben, mit welcher Leidenschaft die Jugendlichen und Erwachsenen an den Gesprächen teilnahmen. Vom Soft-War-Seminar über die Reflexion atheistischer Argumente bis hin zum Quranunterricht mit dem Weltmeister Hassan Sadeghi – der deutschsprachigen Islamischen Tagung mangelte es nicht an Vielfalt.
In Anlehnung an das Motto „Von Muhammad zu Muhammad“ versuchte ich gemeinsam mit den anderen Betreuern der zehn- bis dreizehnjährigen Jungen den Schwerpunkt auf unseren Propheten Muhammad (s.) und den erwarteten Erlöser zu richten. Für viele Kinder und Eltern stellen die Aufführungen am letzten Tagungstag das Highlight dar. Wir nutzten die Vorfreude der Kinder, um neben dem Einstudieren von theatralischen Szenen in den gegebenen Räumlichkeiten wichtige Lehren zu vermitteln. Gern und oft erzählten die Kinder über ihre ersten und durchaus sehr interessanten islamischen Aktivitäten in und außerhalb ihrer Gemeinden. Sie stellten fragen und waren im Großen und Ganzen aktiv bei der Sache. Sie strotzten vor Selbstbewusstsein – etwas, was ich bei vielen muslimischen Erwachsenen, seien es Männer oder Frauen, vermisse.
Selbstbewusst zu seiner Religion zu stehen, eine klare Haltung zu zeigen und die eigene Überzeugung nicht zu verstecken, will von klein auf gelernt sein. Mit anderen Menschen in einen Dialog zu treten und handfeste Argumente auf den Tisch zu legen, ohne nach einer Schwäche gleich in Panik auszubrechen, sollte den Kindern antrainiert werden und darf auch bei den Erwachsenen nicht zu kurz kommen. Wir sind angeraten, eine lebendige und wissensfördernde Diskussionskultur in unseren Häusern und Moscheegemeinden zu schaffen, damit die angehende Generation zu kontaktfreudigen, offenen und prinzipientreuen Menschen heranreifen. Die meisten Kinder bringen Interesse und Neugier mit und sind grundsätzlich offen gegenüber anderen Einstellungen und Überzeugungen. Wir sind es, die den geistigen Horizont der Kinder mit unseren bisweilen sehr versteinerten, traditionsgeleiteten Erziehungskonzepten einschränken.
Die Tagung ist für mich deshalb auch nützlich zu verstehen, mit welchen Problemen wir in der muslimischen Gemeinschaft noch zu kämpfen haben. Etwas schockiert war ich schon, als ich auf Anfrage hören durfte, dass bis auf ein Kind alle der 10–13-Jährigen Jungen ein eigenes Handy besitzen. Wie musste sich der eine Bursche fühlen, der als einziger in der Reihe noch kein Smartphone besaß. Auch wenn Handys für Kinder kein speziell muslimisches Phänomen darstellt, sollte es angesprochen und reflektiert werden. Der Druck, dem unsere Kinder und Jugendlichen inzwischen ausgesetzt sind, ist so enorm, dass kaum noch jemand den elektronischen Wahnsinn hinterfragt. Die Sketche der Kinder am letzten Tag der Islamischen Tagung hatten deshalb auch das Ziel, die Eltern für das Thema Smartphones zu sensibilisieren.
Auch die halb aufgegessenen Portionen nach jedem Mittags- und Abendessen sind ein nicht zu unterschätzendes Problem und alles andere als lobenswert. In einer Moschee während einer islamischen Tagung frisch zubereitetes Essen wegzuwerfen, ist sicher kein angemessenes Verhalten. Insbesondere die Eltern sollten den Kindern und Jugendlichen von klein auf den Wert des Essens aufzeigen. Hilfreich ist neben der eigenen vorbildhaften Lebensweise zum Beispiel ein verstärkter Blick auf die islamische Ethik am Vorbild des Propheten Muhammad (s.) und seinen Nachfolgern. Wenn der Prophet Gottes als Herrscher von Arabien mit hungerndem Magen schlafen geht, dann möchte er uns etwas mitteilen. Das muss im Religionsunterricht und den regelmäßigen Sitzungen der jeweiligen Gemeinde verstärkt hervorgehoben werden.
Solche unschönen Verhaltenszüge, die wir alle miteinander teilen, mindern nicht den Wert der Tagung. Ganz im Gegenteil, wir können sie in der Tagung ablegen und unsere Seele mit neuen, guten Eigenschaften schmücken. Jeder von uns ist mit Mängeln und Schwächen behaftet, was von den Referenten der Tagung auch dezidiert angesprochen wurde. Wir sollten die Worte der Redner nicht nur für den einen Moment verinnerlichen, sondern sie dauerhaft ins Gedächtnis speichern, um sie zur richtigen Zeit am rechten Ort umzusetzen.
Noch einflussreicher als die Theorie ist für die Läuterung der eigenen Seele die gelebte Praxis der Geschwister. Wenn ich neben mir einen Bruder sitzen habe, der auf eine Essensportion verzichtet und zum Teller seines Nachbarn greift, weil er fürchtet, das kostbare Essen könnte in der Mülltonne landen, dann bin ich eher geneigt, mein eigenes Verhalten zu überdenken und bewusster zu leben. Ein echtes und gutes Vorbild ist immer noch nützlicher als jedes Wort!
Die islamische Tagung in Hamburg gehört für viele Muslime zu den schönsten Ereignissen im Jahr. Viele Männer und Frauen, Kinder und Jugendliche nutzen die einmalige Gelegenheit, einmal im Jahr zusammenzukommen und Gottes Liebe in den hilfsbereiten Gesichtern der Gottsuchenden zu erblicken. Ich persönlich nutze die Tagung als spirituelle Ladestation. Die besondere Atmosphäre, sobald sich gläubige Menschen zusammenfinden, ist für mich das Schönste, was ich in drei Tagen islamischer Tagung erleben durfte.
Natürlich musste ich wegen der Kinderbetreuung, die parallel zum Hauptprogramm lief, auf viele Attraktionen verzichten. Jedes Mal, wenn der gedankliche Konflikt zwischen dem Anhören der Vorträge auf der einen Seite und dem Betreuen der Kinder auf der anderen in mir hochkam, hielt ich mir den folgenden Vers vor Augen: „Ihr werdet die Güte nicht erlangen, bis ihr von dem spendet, was ihr liebt. Und was immer ihr spendet, Gott weiß es.“ (Heiliger Quran 3: 92)
Dieser Vers ist so umfassend, dass er alle Teilnehmer der Islamischen Tagung miteinschließt. Von den freiwilligen Helfern in der Küche bis zu den Rednern am Pult. Ja selbst der einfache Teilnehmer spendet von seiner kostbaren Zeit, um einmal im Jahr den Segen solcher Tagungen am eigenen Leib spüren zu dürfen. Einmal im Jahr lassen die Teilnehmer all ihre Probleme bei Seite. Sie verzichten zwei Nächte lang auf die bequeme Matratze im eigenen Heim, sie verzichten auf das eigene Bad, die eigene Küche und das gemütliche Sofa in den eigenen vier Wänden. Sie nehmen den harten Boden der Moschee in Kauf, die lange Schlange vor der Toilette, um Gottes Wohlgefallen zu erlangen.
Zwei Tage und Nächte verzichteten wir auf unseren alltäglichen materiellen Luxus, um die viel schönere nicht-materielle Zuwendung Gottes im Herzen spüren zu dürfen. Wir verzichten auf das Unbedeutsame, das Unbeständige, um den einzig Bedeutsamen, den ewig Beständigen, seelisch näher zu kommen. Gemeinsam mit den anderen Gläubigen bemühten wir uns um die Empfängnis der Gnade unseres Schöpfers in den täglichen Pflicht- und Bittgebeten, den Vorträgen, in dem stündlichen Beisammensein mit den hohen Gelehrten der islamischen Akademie.
Einmal jährlich gibt uns der Islamische Weg e. V. in Kooperation mit der Imam Ali Moschee die Möglichkeit, mit Menschen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum in Kontakt zu treten. Die Imam Ali Moschee ist für viele Gläubige das Herz und Zentrum der schiitischen Gemeinschaft in Deutschland und im gesamten europäischen Gebiet. Als die höchste Instanz trägt der Leiter der Moschee, Ayatollah Ramezani, eine große Last auf seinen Schultern. Er ist darum bemüht, den so wichtigen konfessionellen Dialog am Leben zu halten. Unter der friedenstiftenden Fahne des Islam strebt und eifert er in Mühe der muslimischen Einheit nach.
Beten wir zu Gott, dass Er uns erlaubt, ihn bei dieser ehrwürdigen Aufgabe zu unterstützen. Und möge Gott den Muslimen auch in Zukunft ermöglichen, an dieser Tagung teilzunehmen und weiterhin von den segensreichen Veranstaltungen zu profitieren.