Eine weite Reise liegt hinter mir. Ich entstamme der trockenen Wüste Arabiens, dem Kern des fernen Orients. Geboren als  Lichtfunke, kam ich in die Obhut jenes Aufrichtigen und Edlen. Welch freudige Nacht in der ich geboren wurde! In der Tiefe seines Herzens nistete ich mich ein, wohlbehütet an einer sicheren Ruhestatt. Doch trat ich anfangs kaum in Erscheinung. Eine Zeit der Verborgenheit, in der ich mich nur Wenigen offenbarte. Im geschlossenen Kreise vernahm ich jenen jungen Knaben. Äußerlich von schöner Natur, innerlich ein Spiegel meiner Selbst. Ein schützendes Eingangstor vor den Fluten der Ignoranz, ein Zufluchtsort vor der Aura der Verwerflichkeit. Fähig, mein helles Licht aufzubewahren.

Ich sprach nach dreijährigem Schweigen durch die gesengte Zunge des Aufrichtigen zu den verdorbenen Menschen:

„Und verkünde laut, was dir geboten ward und wende dich ab von den Beigesellern. Wahrlich wir genügen dir wider die Spötter“[1]

Doch überhäufte man meine Erscheinung mit Schmach und Schande. Zu grell schienen meine göttlichen Strahlen, zu finster die Gedanken des undankbaren Menschen. Tief bekümmert von der Torheit der rückständigen Wüstenbewohner tröstete ich den aufrichtigen Gesandten und die wenigen Ausgezogenen. Ich sprach aus seinem heiligen Munde:

„Und wenn es dein Herr gewollt hätte, gewiss hätten alle, die auf Erden sind, geglaubt – sie alle gemeinsam. Doch willst du die Menschen zwingen, damit sie Gläubige werden?“[2]

Anderenorts erkannte man meine unerschöpflichen Wahrheiten. Die tiefwurzelnden, bis ins Mark vordringenden Lehren zu Moral und Ethik, zeitlos und unnachahmlich. Den barbarischen Glaubenspraktiken der Polytheisten ein Dorn im Auge. Ich entriss der Falschheit und Vielgötterei das Fundament, benetzte den Intellekt der Suchenden mit Weisheit, und führte die um Hilfe Schreienden aus der einsamen Finsternis ins das Tal des Lichtes. Ihre kranken Herzen fanden Heil im Gedenken Meiner, während die (unruhigen) Seelen der Heuchler noch unruhiger wurden.

Man schrieb meine Worte, gesprochen aus dem Munde jenes Vertrauenswürdigen, aufs Papier. Die Früchte meiner Lehren breiteten sich aus, und so spross die beste Gemeinschaft blühend aus der leblosen Wüste Arabiens empor. Eine Gemeinde, befreit aus dem Joch des Götzendiensts ihrer Vorväter und dem Irrglauben, angepasst an den tierischen Begierden ihrer niederen Seelen. Unterdrückungen aller Art setzte ich außer Kraft. Ich sprach als Einheit aus dem Gesandten Gottes:

„O ihr Menschen, Wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf daß ihr einander erkennen möget. Wahrlich, vor Allah ist von euch der Angesehenste, welcher der Gottesehrfürchtigste ist. Wahrlich, Allah ist Allwissend, Allkundig.“[3]

Wir machten kenntlich, dass die Gottesehrfurcht aus dem ethischen Handeln  resultiert. Wie verwerflich waren doch die Taten der Menschen vor meiner Erscheinung! Wie viel Grausamkeiten verübten rachsüchtige Könige im Namen ihrer falschen Ideologien. Meine Lichtstrahlen raubte ihnen beinahe ihr Augenlicht. Ich befreite die Wahrheit aus den Ketten des Übels. Dann fügte ich mich dem Befehl meines Herrn und offenbarte:

„Der den Tod erschaffen hat und das Leben, daß Er euch prüfe, wer von euch der Beste ist im Handeln; und Er ist der Allmächtige, der Allverzeihende.“[4]

Die Spuren der Vergangenheit wie vom Winde verweht. Die Paläste der großen Mächtigen dem Erdboden gleich. Staubtrockene Gesichter in den Gräbern der dunklen Finsternis. Ihr gieriges Anhäufen von Reichtümern konnte ihren Tod nicht um den Flügelschlag einer Mücke verzögern.

„Sag: Reist auf der Erde umher und schaut, wie das Ende der Übeltäter war.“[5]

23 Jahre sprach ich aus dem Wesen des Aufrichtigen Propheten zu den Menschen; doch nur wenige parierten wahrhaft unter dem Banner der Freiheit. Man las meine Oberfläche,  die Worte drangen nicht durch die Kehlen. So wandte man sich nach dem Dahinscheiden des Edlen von mir ab, missbrauchte meine göttlichen Worte zu egoistischen Zwecken, obgleich der Sprecher meines Selbst unter ihnen weilte.

Man ließ mich allein, schenkte meiner Worte keine Beachtung.

Dies ist ein Teil meiner Vorgeschichte. Noch heute wird versucht mein Licht im Keim zu ersticken. Man kettet mich in einem wertlosen Behältnis aus Gold, um sich an den habsüchtigen Blicken der Anderen zu ergötzen. Dabei bin Ich doch das Heil für jeden Heilsuchenden, der Trost für alle Trostsuchenden, die Stimme eines jeden Schutzsuchenden, die Hoffnung der Unterdrückten im Gefecht gegen die Bestien der Unterdrücker.

Wann plantest du, die schmutzige Staubschicht von meiner Decke zu entfernen, meine erhabenen Zeichen zu personifizieren und den melodischen Klang meines Wortes darzubieten? Die tiefen Geheimnisse der Welt werde ich dir enthüllen, sofern du dich mir aufrichtig zuwendest. Deinem treuen Begleiter auf den mühsamen Pfad zum Prozess der Veredelung. So flüchte in Andacht vor dem vergänglichen Schmuck der diesseitigen Welt, auf dass du nicht zu denjenigen gehören werdest, über die mein sprechendes Ich am Tage der Religion bezeugen wird:

„Und der Gesandte sagte: „O Herr, mein Volk hat wahrlich diesen Qur`an alleine gelassen.[6]

So verdeutlichte der Gesandte euch die Wichtigkeit meiner Lesung.

Mit der Erlaubnis meines Erschaffers führe ich zu den Wahrheiten und mache sie offenkundig. Konkret und konsequent, nicht oberflächlich und leichtfertig. Ich besitze eine Oberfläche und eine Tiefe. Meine Oberfläche ist voller Festigkeit und meine Tiefe birgt unendliche Erkenntnisstufen. Mein Wortlaut ist voller Schönheit, tief und reich an Sinngehalt. Bei Gott, ich bin ein Firmament voller Sterne und auch diese Sterne sind ihrerseits von Sternen umgeben.[7]

So öffne dein Herz und lasse die Offenbarung tief auf dich wirken. Meine göttlichen Lichter werden dein Inneres zum glühen bringen. Oh du in Not geratener Schiffsbrüchiger; Verlese meine Verse und folge dem Leuchtturm der Rechtleitung. Halte dich an meine Gebote; rezitiere die Geschichten der vergangen Propheten und strebe nach Erkenntnis. Strebe nach den unendlichen Wissenstiefen. Die verborgenen Geheimnisse der Himmel und der Erde wirst du wahrlich in keinem finden, außer in Meinem. Nehme den leuchtenden Schlüssel[8] von nun an in die Hand und öffne damit das Tor zum einzig-ewigen und wahren Schöpfer aller Universen.

„Wahrlich dieser Qur’an leitet zu dem, was richtiger ist und verkündet den Gläubigen, welche da tun die Rechtschaffenheiten, dass ihre wird sein, ein Lohn, ein großer.“[9]

 

 

 

 

 

[1] [Sure: 15, Vers 94 u. 95]

[2] [Sure: 10, Vers 99]

[3] [Sure: 49, Vers 13]

[4] [Sure: 67, Vers 2]

[5] [Sure: 27, Vers 69]

[6] [Sure: 25, Vers 30]

[7] Angelehnt an einer Überlieferung des Propheten Muhammad s.

[8] Den Qur‘an

[9] [Sure: 17, Vers 9]