VorgeschichteAlkohol zu trinken und Veranstaltungen, in denen Alkohol serviert wird, stehen im klaren Widerspruch zu diesen Zielen. Deswegen würde ich mich überhaupt nicht in solchen Veranstaltungen wohlfühlen und ich werde sie weder mit meiner Anwesenheit noch mit meinem Geld unterstützen.“

Annas Gesicht zeigte eine Mischung aus Skepsis und Verständnis. Sie überlegte nicht lange, ehe sie ihre nächste kritische Frage stellte: „Aber Alkohol hat auch großen Nutzen. Er hilft einem lockerer zu werden, ohne geächtete Drogen zu konsumieren. Das beobachte ich bei den meisten meiner Verwandten. Auch denke ich, dass Alkohol ein Ventil anbietet, um aus dem stressigen Alltag zu entfliehen. Wir verspüren den permanenten Zwang in der Gesellschaft zur Selbstdisziplinierung. Was ist bitte daran verkehrt, dem Bedürfnis nach Grenzüberschreitung und Entspannung nachzugehen?“

Die Worte lösten in mir ein unwohles Gefühl aus. Ich hörte dieses Argument nicht zum ersten Mal. Man benutzt es gerne, um den Konsum von Schadstoffen wie Zigaretten, Zucker in großen Mengen oder Fastfood schönzureden.

Ich antwortete: „Die schädliche Wirkung von Alkohol haben wir ja ausführlich diskutiert. Zugegeben; andere Drogen wie Heroin sind gefährlicher als Alkohol. Aber ist das wirklich ein gutes Argument? Alternativ zum Alkohol könnte ich dir etliche Freizeitaktivitäten aufzählen, die gesundheitsförderlich und stressmindernd sind und ohne Bedenken praktiziert werden können. Ist Alkohol wirklich die Lösung für psychische Probleme und das Ventil für den Alltagsstress? Die Erfahrung zeigt etwas ganz anderes. Jemand, der nicht in der Lage ist, seine Probleme im bewussten Zustand zu lösen, wird sie auch nicht lösen können, wenn er betrunken ist. Das ist eine Selbsttäuschung! Eine kurzfristige Betäubung, um später in einem viel schlimmeren Geisteszustand aufzuwachen. Empfindest du es nicht als eine Art Schwäche, vor den eigenen Problemen zu flüchten, anstatt sie selbstbewusst zu lösen? Außerdem, was garantiert dir, dass ein gewollter Kontrollverlust nicht zur Regel wird, gerade wenn die Krisenstürme das eigene Leben überfluten?
Es ist übrigens sehr interessant, dass der Heilige Koran nicht außer Acht lässt, dass Alkohol auch einen Nutzen hat. Allerdings wird er dort als ein Mittel mit mehr Schaden als Nutzen bewertet.“

Sie fragen dich nach dem Wein und dem Glücksspiel. Sprich: In ihnen liegt eine große Sünde und auch vielfacher Nutzen für die Menschen. Aber die Sünde in ihnen ist größer als der Nutzen. (Heiliger Koran, 2:219)

Aufgebracht kommentierte Anna: „Denkst du nicht, dass dein Gott der Verbote dir deinen freien Willen entzieht? Die Freiheit, die wir hier genießen, erlaubt uns alles auszuprobieren und uns eine eigene Meinung zu bilden, solange die Freiheit oder die Würde anderer nicht angetastet wird. Diese Freiheit ist bei Weitem nicht überall in der Welt anzutreffen. Monotheistisch geprägte Gesellschaften sind dabei meist besonders intolerant. Wenn du schon auf diese Freiheit verzichtest, solltest du wenigstens tolerant gegenüber dem Trinken anderer sein!“

„Ohne den freien Willen wäre das Streben nach der Liebe Gottes, als Ziel jedes menschlichen Lebens, sinnlos“, erwiderte ich. „Denn Liebe, die auf Zwang basiert, ist keine Liebe. Diese Verbote sind wie väterliche oder ärztliche Empfehlungen. Sie scheinen auf den ersten Blick hart, sind aber für das Wohlbefinden und die Weiterentwicklung notwendig. Eine Art Bedienungsanleitung des Schöpfers, der sein Geschöpf bestens kennt. Sie helfen ihm dabei, sich den göttlichen Attributen anzunähern. Das setzt wiederum die menschliche Freiheit voraus.“

Ich nahm einen kurzen Atemzug und fuhr fort: „Ausprobieren lohnt sich, wenn man unsicher ist, ob der Nutzen einer Tat den Schaden überwiegt. Wenn aber fundierte Erkenntnisse aus der Wissenschaft und des rationalen Denkens gegen eine Tat sprechen, ist es unklug, einer Handlung bloß aus eigener Neigung nachzugehen. Gerade für Alkohol ist es leicht nachzuweisen, dass der Schaden des Konsums den Nutzen überwiegt. Die wahre Freiheit liegt nicht darin, den eigenen Neigungen wild Folge zu leisten, sondern sich davon zu befreien und sie zu kontrollieren. Wenn ich nun solche Veranstaltungen toleriere, dann mach ich mich mitschuldig. Ich würde dann all die üblen Folgen oder Effekte von Alkohol tolerieren. Genauso, wie aktiv Aufklärung gegen das Rauchen betrieben wird, sollten wir uns bemühen, über die Gefahren des Alkoholkonsums zu informieren. Anstatt es zu tolerieren, sollten wir vielmehr das Alkoholverbot in der Öffentlichkeit anstreben. Wie wäre es mit einem Werbeverbot im Fernsehen, wie bei Tabak?“

Anna schien keinen Weg mehr zu wissen, um den Alkoholkonsum zu verteidigen, und wich stattdessen auf ein anderes Thema aus: „Ich denke wir haben uns bezüglich des Themas Alkohol ausreichend ausgetauscht und werden zu keinem Konsens kommen. Erzähl mir nun von den Attributen deines Gottes, den du anstrebst.

Mich überraschte, dass Anna sich plötzlich für Gott und seine Attribute interessierte. Ich überlegte kurz und sagte dann: „Was kann schon ein beschränktes Wesen von der grenzenlosen Existenz erzählen. Am besten beschreibe ich ihn so, wie er sich selbst beschreibt: ‚Sprich: Gott ist einer. Ein ewig reiner. Hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner. Und nicht ihm gleich ist einer.‘“

„Tolle Dichtung!“, erwiderte Anna schnippisch. „Aber erklär mir bitte, was das für ein Gott der Moral ist, der Kinderleben ohne Grund beendet? Was ist das für ein gerechter Schöpfer, der es erlaubt, dass nur acht Menschen mehr besitzen als die Hälfte der Menschheit und andere an Hunger sterben? Was ist das für ein Gott, der Gewalt predigt, Kriege segnet und Hass gegenüber Ungläubigen empfiehlt?“

Unüberhörbar war der Schmerz in ihrem Ton. Sie war selbst betroffen und ihre Fragen schienen mir wie ein Schrei nach Aufklärung. „Deine Fragen implizieren deine Überzeugung, dass Gerechtigkeit erstrebenswert ist und dass aktuell auf der Welt keine Gerechtigkeit herrscht, oder?“, fragte ich sie.

„Das ist richtig, es scheint eine natürliche Veranlagung in den Menschen für Gerechtigkeit und Vollkommenheit zu geben“, antwortete Anna etwas leiser, als wenn sie erst in dem Moment begriffen hatte, dass ich nicht für das Unrecht auf der Welt verantwortlich bin.

„Aber genau das ist die Ausgangslage aller Religionen!“, fügte ich hinzu.

„Wie meinst du das?“, fragte Anna überrascht.

„Es gehört zur Grundlage jeder Religion, dass Gott den Menschen erschuf und ihm den freien Willen gab, um die höchsten Stufen der Moral zu erlangen. Es ist selbstverständlich, dass in der Abwesenheit von Licht die Dunkelheit herrscht. Genauso werden Menschen unmoralisch, die sich von ihrem Schöpfer abwenden, dem Eigner der Moral. Wenn man also den von Gott gegebenen freien Willen missbraucht, kann man durchaus ungerecht werden. Aber dafür darf nicht Gott beschuldigt werden. Diese Tatsache manifestiert sich in Menschen, die selbstverliebt und egozentrisch sind. Sie verwandeln sich in ungerechte Wesen, deren Hauptsorge es ist, ihre Gier zu stillen. Solche bestialischen Unterdrücker sind Ursache für Unrecht auf Erden.“

Annas Gesichtszüge zeigten sie beleidigt und sie erwiderte wütend: „Willst du nun behaupten, dass ich unmoralisch bin, nur weil ich nicht an Gott glaube? Du hebst die Gläubigen moralisch auf einen hohen Sockel, obwohl sie aktuell die meisten Übeltaten verüben! Man braucht nur die vergangenen Ereignisse von Köln oder die Terroranschläge durch Muslime in den letzten Jahren betrachten. Ein anderes Beispiel ist das damalige Leid unter der Versklavung Europas durch das Christentum. Da haben wir richtig am eigenen Leib gespürt, wie ist es, wenn die Religion regiert. Wissenschaftler wurden wegen ihrer Erkenntnisse hingerichtet, Frauen wie der letzte Dreck behandelt. Die Priester haben wie Könige gelebt und die Nächstenliebe, die sie predigten, blieb als vertrocknete Tinte in ihren heiligen Büchern. Die Liste der Schandtaten im Namen der Religionen ist lang.“

Ich versuchte schnell klarzustellen, dass nicht sie mit meiner vorherigen Aussage gemeint war: „Ich denke, alle Menschen können unmoralisch handeln, auch Muslime. Atheisten, die große Anstrengungen gegen Unrecht leisten und die die moralischen Ideale anstreben, sind natürlich nicht gemeint. Sie nähern sich offensichtlich durch ihren aufrichtigen Einsatz Gott an, selbst wenn sie es nicht wissen. Meine Aussage lautet: Jeder Mensch, unabhängig von seinem Label, der nicht die Vorzüglichkeiten der Moral anstrebt, die in Gott vereint sind, wird sich früher oder später der Verdorbenheit zugeneigt zeigen. Doch wenn jemand Gerechtigkeit anstrebt, dann strebt er nach einem Attribut Gottes.
Auf der anderen Seite dürfen wir nicht jedes Mal, wenn ein Muslim unmoralisch handelt, den Islam beschuldigen, wie es aktuell manche Rechtsradikale oder die Mainstream-Presse tun. Das gilt übrigens auch für jede andere Religion oder Gruppierung.
Kriminalität kennt keine Religion. Kriminelle unterscheiden nicht zwischen Religionen. Ein gutes Beispiel ist die künstlich gezüchtete Gruppierung IS, die dem Islam so geschadet hat, wie kaum eine andere Gruppe in der Geschichte zuvor. Die Opfer dieser kriminellen Mörder sind mehrheitlich Muslime. Die Mörder unterscheiden nicht, sie töten jeden, der eine andere Weltanschauung hat als sie. Zugegeben, Religionen sind gute Werkzeuge, um politische Ziele zu erreichen. Sie können offensichtlich missbraucht werden. Aber das ist mit jeder Ideologie so. Sogar die Wissenschaft wird missbraucht, um Massenvernichtungswaffen herzustellen. Sind nun die Wissenschaftler daran schuld?“

Anna beruhigte sich wieder und ein kleines Schmunzeln war zu sehen: „Interessant, ich wusste nicht, dass ich Gott dienen kann, ohne Gott dienen zu wollen. Aber zurück zum Thema: Mit deiner bisherigen Erklärung lassen sich Kriege und soziale Ungerechtigkeiten erklären. Aber du hast bisher nicht erklärt, mit welchem Recht ein vollkommen gerechter Schöpfer das Leben von kleinen unschuldigen Kindern beendet? Warum verursacht er Naturkatastrophen? Es scheint mir, dass dieser Gott sich daran erfreut, uns leiden zu sehen. Solch ein Gott, falls er existiert, kann nur grausam sein.“

„Liebe Anna, bezieht sich deine Frage auf die Hinterbliebenen, die leiden müssen, oder auf das Kind selbst?“, fragte ich.

Anna antwortete: „Auf beide. Aber bitte, fang mit den Hinterbliebenen an.“

Ich sortierte kurz meine Gedanken und legte los: „Aus göttlicher Sicht hat das Leid eines Menschen einen erzieherischen Aspekt. Ein vollkommener Gott braucht uns nicht leiden zu sehen. Wir können ihm nichts geben, weder mit Freude noch mit Leid. Den erzieherischen Aspekt des Leids hat Rumi, ein großer muslimische Philosoph und Dichter des 13. Jahrhunderts, mit diesem Gleichnis erklärt: Sie streuten Samen in die Erde; dann kamen Halme heraus. Darauf wurde es in der Mühle gemahlen; in Brotform wurde es größer und nützlicher. Dann haben die Zähne das Brot zerkaut und nach der Verdauung wurde es Geist und sinnvoller Gedanke. Und wiederum: Als dann Liebe den Geist verwirrte und bestürzte – was war das für eine überraschende Entwicklung und Veredelung.
Weil diese Welt nur ein Übergang zum Jenseits darstellt, sollten wir uns hier nicht zu heimisch fühlen. Die göttliche Weisheit und Liebe wollte, dass wir uns bemühen, dass wir leiden, um besser zu werden und den wahren Frieden im Jenseits erreichen. Das impliziert selbstverständlich, dass wir uns bemühen, auch im Diesseits diesen Frieden zu suchen. Hinter dem Verlust des Kindes steckt eine verborgene Schönheit für die Eltern. Sie lässt sie intensiver als je die Liebe spüren. Die Sehnsucht nach der dahingeschiedenen Seele sollte in ihnen eine noch intensivere Sehnsucht nach der wahren Liebe Gottes wecken.“

„Wenn das Leid also einen positiven erzieherischen Aspekt hat, warum muss Gott unbedingt das Leben eines Kindes verkürzen? Was ist daran positiv?“

Es fiel mir schwer, die Frage direkt zu beantworten: „Nun, die Frage ist allgemeiner zu formulieren: Warum gewährt Gott dem einen so viel Zeit zum Leben und dem anderen so wenig? Warum beschenkt er ein Neugeborenes mit reichen Eltern und ein anderer muss in Hungersnot aufwachsen? Noch allgemeiner formuliert: Warum gibt es solche Unterschiede? Und ist das gerecht?“

„Genau“, antwortete Anna.

„Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes beschäftigt die Gelehrten schon seit Jahrhunderten. Unterschiede in der Schöpfung deuten nicht unbedingt auf einen ungerechten Schöpfer hin. In allen monotheistisch Religionen ist das Leben der Menschen nicht nur auf das Diesseits beschränkt, sondern es wird als Brücke zum Jenseits verstanden. Dort ist das ewige, das wahre Leben. Gäbe es kein Jenseits, dann wäre es ungerecht gegenüber dem Kind, das hungrig aufwachsen musste, verglichen mit dem reichen Kind. Im Jenseits zieht Gott die geringe Zeit und die Umstände, unter denen es lebte, seine Taten und viele andere Faktoren in Betracht, um ihm ein gerechtes ewiges Leben zu bescheren.
Gott teilt den Lebensunterhalt großzügig, wem Er will, und auch bemessen zu. Und sie freuen sich über das diesseitige Leben; das diesseitige Leben ist aber im Vergleich mit dem Jenseits nur Nutznießung. (13:26)
Ohne Gott gäbe es nicht Gut und Böse und somit auch keine Gerechtigkeit. Aber wie gesagt; dieses Thema kann man nicht in einem Gespräch abhandeln.“

Anna hörte die ganze Zeit sehr aufmerksam zu und trotz meiner langen Ausführung unterbrach sie mich nicht. Meine Darstellung zeichnete einen Ausdruck des Staunens auf ihr Gesicht.

„Nun, ich muss zugeben, dass mir deine Schilderungen neu sind. Ich brauche aber Zeit, um deine Thesen zu verarbeiten. Aber Mohammed, wenn die Moral im Islam so wichtig ist, warum erlaubt Gott dann Gewalt gegenüber Frauen und motiviert zu Ehrenmorden? Warum wird die Frau gezwungen sich zu bedecken? Warum ist die Zwangsheirat in islamischen Ländern gestattet?“

Fortsetzung folgt

Quelle: https://offenkundiges.de/austausch-mit-nichtmuslima-uber-gott-und-moral/